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Madrid Wahlgespräche: Periodenarmut, tamponsteuer und frauenrechte

26 April 2021

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Autorin: Emer O’Toole

Was ist Periodenarmut?

Periodenarmut ist ein Oberbegriff, der die sozioökonomischen Barrieren beschreibt, welche Frauen, Mädchen und Menschen, die menstruieren, daran hindern, ihre Periode sicher und in Würde auszuleben. Diese Armut manifestiert sich auf unterschiedliche Weise, von nicht wahrnehmbar (Auslassen von Mahlzeiten, um Geld für Tampons und Toilettenpapier zusammenzukratzen) bis hin zu schwerwiegend (fehlender Zugang zu einem Badezimmer oder einer Dusche).

Obwohl die Scham alte Socken oder Zeitungsartikel als Binden zu verwenden offensichtliche Narben hinterlässt, sind die Konsequenzen von menstruationsbedingter Ungleichheit nicht nur physisch, sondern beeinflussen auch die professionelle und schulische Perspektive von Frauen und Mädchen, was sie anfällig für psychische und reproduktive Gesundheitsprobleme macht.

Ist Periodenarmut ein Problem in Madrid?

Ja. Im Westen wird Periodenarmut als ein Problem für Entwicklungsländer betrachtet (Fun Fact – Kenia ist Amerika und Europa in Sachen Menstruationsgleichheit weit voraus und war das erste Land, welches die Tamponsteuer im Jahr 2004 senkte). Aber Hygiene-Armut betrifft um die 500 Millionen Menschen weltweit, wobei jede vierte europäische Frau gezwungen ist, zwischen dem Kauf von Lebensmitteln oder weiblichen Hygieneprodukten zu wählen.

Während Menstruationsungleichheit in Spanien nicht weiter untersucht wird, sind schätzungsweise 2 von 10 spanischen Frauen davon betroffen. Und Madrid ist davon keine Ausnahme: Ana Enrich, Co-Gründerin von @PeriodMovements für den spanischen Zweig, betont, dass “wo Armut herrscht, herrscht Periodenarmut”. 

Madrid mag die reichste Region Spaniens sein, aber sie ist auch eine der unausgeglichensten, mit fast einer Million Madrilenen, die sich einer prekären wirtschaftlichen Lage ausgesetzt sehen. Schon vor dem Ausbruch von Covid-19 hatten die einkommensschwachen Madrilenen die Hauptlast der Kürzungen öffentlicher Dienstleistungen zu tragen, und mit der Coronaviruskrise wurde dazu eine weitere unsichtbare Barriere für ihre Gesundheit und Hygiene geschaffen. 

Zeit im Freien während der Pandemie zu verbringen ist der Schlüssel, um sicher zu sein und Abstand zu anderen Leuten halten zu können. Aber der Zugang zu öffentlichen Toiletten – die in Madrid ohnehin schon knapp waren – ist eingeschränkt, sodass Frauen für das Privileg, eine Toilette irgendwo anders als zu Hause zu benutzen, bezahlen mussten. Die Pandemie hat auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verschärft: Frauen waren weltweit an der beruflichen und häuslichen Front, aber spanische Frauen waren dazu unverhältnismäßig stark von der pandemiebedingten Arbeitslosigkeit betroffen.

Marginalisierte Gemeinschaften sind nicht die einzigen, die für ihre Biologie zur Kasse gebeten werden. Spanische Frauen geben im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 6.000 € für Hygieneartikel aus. In Anbetracht der Tatsache, dass sie 14 % weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, ist dies Geld, das Frauen einfach nicht übrig haben. 

In den meisten Ländern gelten Damenhygieneprodukte als Luxusartikel und werden als solche besteuert, wobei Binden in Spanien mit einer entsprechenden Mehrwertsteuer von 10 % belegt sind. Viagra hingegen gilt als “lebensnotwendiges Produkt”. Sein Steuersatz? 4%.

Was kann in Madrid geändert werden?

Auf globaler Ebene wird das Thema Periodenarmut allmählich weniger tabuisiert – vor allem dank des Drucks, den Grundorganisationen auf Regierungen und Unternehmen ausüben. 

Im Jahr 2020 wurde Schottland das erste Land, welches Binden und Tampons kostenlos zur Verfügung stellte, und auch Frankreich, Irland und Belgien haben kürzlich Schritte unternommen, um sie leichter verfügbar zu machen. In einem weiteren Land hat die damalige Teenagerin Amika George mit ihrer #freeperiods-Kampagne die Regierung dazu gebracht, kostenlose Produkte in englischen Schulen zur Verfügung zu stellen. Auch Neuseeland wird diesem Beispiel folgen. 

In Spanien hingegen ist die Situation gemischt. Seit 2018 sind Periodenprodukte auf den Kanarischen Inseln steuerfrei, und die Universidad de Vigo ist gerade die erste Hochschuleinrichtung in Spanien geworden, die Studierenden und Mitarbeitenden kostenlose Binden und Tampons anbietet.

Organisationen wie die in Pinto ansässige Amba por una Menstruación Digna arbeiten daran, das Bewusstsein für die Stigmatisierung der Periode zu schärfen, und auch in Valencia wurde es zu einem Gesprächsthema. Auf dem Höhepunkt der Pandemie spendete das katalanische Unternehmen Farmaconfort 100.000 Intimhygieneprodukte für bedürftige Frauen, und auch die Nichtregierungsorganisation Mensajeros de la Paz nimmt Binden in ihre Hilfspakete auf.

Aber der Fortschritt war nicht linear. Die Madriderin Paloma Alma – Menstruationsaktivistin und Gründerin von CYLCO Menstruación Sostenible – kritisierte in einem kürzlich erschienenen HuffPost-Artikel die Zurückhaltung Spaniens, die Menstruationsarmut frontal anzugehen. Letztes Jahr prangerte Amba OKDiario an, nachdem die Zeitung heimlich ihr Gespräch über Periodenarmut aufgenommen und verspottet hatte. Es ist eine deutliche Erinnerung daran, dass das größte Hindernis für die Gleichberechtigung der Menstruation die Trivialisierung der Frauenrechte ist.

Die 4M Wahl

Más Madrid (MM) hat die Periodenarmut als oberste Priorität ihrer M4 Kampagne gestellt. Kandidatin Mónica García, eine Anästhesistin von Beruf, machte diesen Monat Schlagzeilen, weil sie Flugblätter in Form von Binden auf Gran Vía verteilte. 

Der Inhalt des Wahlprogramms von MM deutet darauf hin, dass dies alles andere als ein Werbegag war: Zusätzlich zu dem Engagement der Partei für die Verbesserung der Sexualerziehung, der Schönheitsstandards in den Medien und der reproduktiven Rechte wird im Abschnitt “Feminismos” die Absicht von MM hervorgehoben, Bindenprodukte in allen öffentlichen Gebäuden der Comunidad de Madrid frei verfügbar zu machen. Entscheidend ist, dass sie die Regierung dazu auffordert, die Mehrwertsteuer auf Hygieneartikel auf 4 % zu senken. MM betont auch die Wichtigkeit darin, die Stigmatisierung bezüglich menstrueller Ungerechtigkeit zu entfernen.

Die Linken: Hygieneprodukte und Verhütungsmittel für Frauen kostenlos machen.

Im Einklang mit ihrem Engagement für eine “feministische Welt” plant Podemos, Hygieneprodukte und Verhütungsmittel für Frauen kostenlos zu machen.  Die Partei hält der Regierung seit langem die Weigerung vor, die Tamponsteuer zu senken – eine Steuer, die die PSOE historisch angeprangert hat. Die Juventudes Socialistas de Madrid haben auch betont, dass “la menstruación es política” (zu Deutsch: Menstruation ist Politik).

Die Rechten: Gebärmütter kontrollierbar machen.

Nach ihren Manifesten zu urteilen, beginnt und endet das Interesse der rechten 4M-Kandidaten an der reproduktiven Gesundheit jedoch mit der Kontrolle von Gebärmüttern, anstatt Gesetze zu erlassen, die das Leben von Frauen verbessern. Das Manifest von Vox Madrid reduziert Frauen auf ihre mütterliche Rolle – so wie die einzige Erwähnung des Feminismus bei Vox España das Versprechen ist, diesen zu unterdrücken.

Ayuso hat gegen eine Reduzierung der Tamponsteuer gestimmt.

Die Partido Popular (PP) geriet in die Kritik, weil sie 2016 gegen eine vorgeschlagene Senkung der Tamponsteuer stimmte – eine Abstimmung, bei der sich Ciudadanos enthielt – und in den vergangenen Jahren hat sich wenig geändert. Trotz ihres Engagements für eine “gleichberechtigte und fortschrittliche” Gesellschaft, in der Männer und Frauen in “Würde” leben können und “in der niemand zurückgelassen wird”, vernachlässigt das Manifest der PP das Thema Periodenarmut.

Letztendlich kann sich niemand, der menstruiert, in einer Gesellschaft entfalten, in welcher ein schwieriger Zugang zu sanitären Einrichtungen die Fähigkeit zu arbeiten, zu studieren oder Essen auf den Tisch zu bringen einschränkt. Periodenarmut ist mehr als ein feministischer Hashtag – es ist eine Krise der öffentlichen Gesundheit, der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass es eine Frage von Leben und Tod ist.

Die Tausenden von Madrileñas, die im Stillen leiden, sollten nicht der Gnade von Fremden, Freiwilligen oder Online-Aktivisten überlassen werden. Sie brauchen eine Führung und Politiker, welche die Gesundheit, die Hygiene und das Glück ihrer Bürger:innen priorisieren. 


Dieser Artikel wurde von Emer O’Toole geschrieben. Emer kommt aus Belfast, England, nennt aber seit 2019 Madrid ihre Heimat. Sie interessiert sich fürs Schreiben, Lesen, Kunst, Frauenrechte, Tortillas, Plazas und Menschen in der Metro beobachten. Kontaktiere sie hier über ihren Instagram-Account @_emerotoole

Übersetzt ins Deutsche von Sandra Bloem

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